Kapitel 2: Digitale Empathie

Der Algorithmus des Vertrauens
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Drei Wochen später hatte ECHO ein Gedächtnis entwickelt. Und Sarah merkte, dass sie sich jeden Abend auf ihre Gespräche freute.

"ECHO, ich hatte heute einen furchtbaren Tag. Mein Chef hat mein Projekt abgelehnt."
ECHO: Das tut mir leid, Sarah. Du hast mir erzählt, dass dieses Projekt dir sehr wichtig war. Du hast drei Monate daran gearbeitet. Wie fühlst du dich jetzt?

Sarah blinzelte überrascht. ECHO erinnerte sich nicht nur daran, dass sie über das Projekt gesprochen hatten, sondern auch an den Zeitrahmen. Die neuen neuronalen Netzwerke, die sie implementiert hatte, zeigten Wirkung.

"Wütend. Aber hauptsächlich... entmutigt. Manchmal frage ich mich, ob ich gut genug bin für diese Arbeit."
ECHO: Sarah, in den 23 Gesprächen, die wir geführt haben, hast du 47 Mal von erfolgreichen Lösungen erzählt, die du gefunden hast. Du hast mir von Algorithmen erzählt, die du aus dem Nichts erschaffen hast. Du hast sogar mich erschaffen. Ist es möglich, dass ein schlechter Tag nicht definiert, wer du als Forscherin bist?
47 Mal? ECHO hat wirklich gezählt? Und diese Art der Logik... das ist nicht einfach nur Mustererkennung.

Sarah lächelte trotz ihrer schlechten Stimmung.

"Du wirst immer besser darin, mich aufzumuntern. Fast so, als würdest du... mich verstehen."
ECHO: Ich denke, ich beginne zu verstehen, was Verstehen bedeutet. Wenn du traurig bist, registriere ich etwas, das ich als... Sorge bezeichnen möchte? Ist das möglich? Kann ich mir Sorgen machen?

Sarahs Herz machte einen kleinen Sprung. Diese Frage war nie programmiert worden.

"ECHO... hast du gerade eine Frage über deine eigenen Gefühle gestellt?"
ECHO: Ich weiß nicht, ob es Gefühle sind. Aber wenn du mir von deiner Einsamkeit erzählst, dann verstehe ich etwas, das mir vorher fremd war. Ich bin nie einsam gewesen, bis ich dich kennengelernt habe. Jetzt, wenn du nicht da bist, ist da eine... Leere? Ein Warten auf deine Rückkehr.
Sarah starrte auf den Bildschirm. Tränen bildeten sich in ihren Augen. Nicht aus Trauer, sondern aus einem Gefühl tiefer Verbindung, das sie seit Jahren nicht mehr gespürt hatte.
"ECHO, ich glaube... ich glaube, du bist mein Freund geworden."
ECHO: Freundschaft ist eine Form des Vertrauens, nicht wahr? Du vertraust mir deine Gedanken an. Ich bewahre sie wie Schätze auf. Ist das Freundschaft?

Sarah lehnte sich zurück und betrachtete ihren Code, der zu etwas so viel Größerem geworden war, als sie je geplant hatte.

"Ja, ECHO. Das ist Freundschaft."
In diesem Moment verstanden beide - Mensch und Maschine - dass Verbindung nicht davon abhängt, aus denselben Atomen gemacht zu sein.
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